Erotische Architektur

1967

EROTISCHE ARCHITEKTUR - WIE KÖNNTE SIE AUSSEHEN?

1967

"Alle Kunst ist erotisch." Adolf Loos (1908)

Es steht völlig außer Frage, daß Architektur eine sinnliche, eine erotische Komponente hat - wie das Leben selbst und das Verhalten des Menschen. Eine sterile Architekturauffassung, wie sie vor allem in den letzten Jahrzehnten in der Bundesrepublik Deutschland Platz griff, hat mit ihren technokratischen und materialistischen Gesichtspunkten diesen für den Menschen so eminent wichtigen Aspekt negiert - mit den Folgen für unsere Umwelt, die wir in ihrer ganzen Trostlosigkeit täglich zu spüren bekommen. Beruft sich der Architekt (oft zu Recht) auf alle möglichen Zwänge, die eine entsprechende Entfaltung verhindern und die Gestaltung einer adäquaten Umwelt unmöglich machen, so ist er bei diesem Aspekt - nämlich dem der sinnlich-erotischen Qualität der Architektur - weitgehend selbst für die Verkümmerung seiner Sinne (und Werke) verantwortlich. Architektur wurde in einer derart beschränkten Weise definiert und praktiziert, die - um in der Terminologie des Themas zu bleiben - den Produzenten und Rezipienten zu Impotenz, Frigidität und Eunuchentum verurteilte.
Architektur als sinnliches Ereignis, als Kunst zu sehen, traute man sich nicht. (Es gibt Ausnahmen!)
Architektur ist - in einer vereinfachenden, doch als Argumentationsgrundlage adäquaten Definition primär zweierlei, leitet sich von zwei polaren Wurzeln ab. Sie ist sakral, kultisch, rituell - ein Medium der Mitteilung, der Kommunikation. Und sie ist ein Mittel zur Erhaltung der Körperwärme.
Beide Territorien manifestieren sich sowohl isoliert autonom, als auch komplex überlagert. In beiden Territorien gibt es klare sinnlich-erotisch-sexuelle Bezüge. Hinzukommt, daß wesentliche Ableitungen zu Aufbau und Gestalt des Gebauten, der Architektur, sich auf den menschlichen Körper berufen - auch hier unter Einbeziehung der geistigen und der sinnlichen Komponente.
1962 sagte ich anlässlich des Vortrages "Zurück zur Architektur!" u.a.: "Architektur ist Fleisch und Geist zugleich. So gesehen ist Architektur im wahrsten Sinne erotisch!" "Das Bedürfnis des Menschen zu bauen, manifestiert sich zuerst in der Errichtung von Gebilden kultischer Bestimmung, magischer sakral-sexueller Bedeutung. Der erste eingerannte Pfahl, ein aufgeschichteter Steinhaufen sind erste menschengemachte Gebilde mit einer spirituellen Bedeutung, Bestimmung - sind Architektur."
Die Manifestation sakral-sexueller Bedeutung mit anthropomorphen Entsprechungen tritt kontinuierlich in der Geschichte des Menschen auf. Der Penis, ob als gebauter Lingam oder als Hochhaus, die weiblichen Attribute als entsprechende Transformation. Nicht zuletzt mit rethorischem Anspruch.
Doch nicht nur in der Symbolik oder der anthropomorphen Entsprechung tritt die erotische Komponente klar zutage, sondern vor allem auch in dem Bereich, den wir im weitesten Sinne die Erhaltung der Körperwärme nannten. Architektur muß alle Sinne ansprechen, ist nicht nur visuell, sondern auch haptisch, akustisch, olfatorisch und gar mit der Zunge wahrnehmbar. Vor allem im haptischen Bereich liegen eindeutige erotische Bezüge auf der Hand. Die erotische Komponente der Architektur soll sich nicht nur auf metaphorischen, den analog-assoziativen Bereich beschränken, sondern direkte sinnliche - aktive und reaktive - Sensationen vermitteln.
Der zweite Teil des Titels bzw. der Fragestellung lautet: "Erotische Architektur - wie könnte sie aussehen?" Nun, wie sie aussehen könnte, lässt sich anhand einiger fragmentrarischer, ad-hoc und at-random hervorgeholter Bilder fremder und eigener Werke als visuellen "Anstoß" vermitteln.
(In meinem Arbeiten der letzten zwanzig Jahre habe ich sowohl dem semiotisch-metamorphorischen Aspekt der Bedeutung von Bauwerken Aufmerksamkeit geschenkt wie aber auch vor allem der Einbeziehung und bewussten Aktivierung der fünf Sinne. Es ist dabei wesentlich, daß man ein Gebäude von seiner Gesamterscheinung bis zum kleinsten Detail (außen und innen!) in diesem Sinne erfasst. Die Sensation, die ich beim Erfassen der Türgriffe fühle, ist ebenso Gegenstand der Überlegung wie die Frage einer Raumstimmung, die Art, wie ich mich um die Ecke schleiche, als auch die Mitteilung, die mir die Gesamtgestalt macht.)
Erotische Architektur sollte aber gar nicht "aussehen" - sie müsste erfahren werden mit allen Sinnen - wie eine Frau. Vor allem jedoch ist die Programmatik falsch, erotische Architektur zu machen. Man macht Architektur, gute Architektur, und gute Architektur ist Kunst, und Kunst ist notwendigerweise auch sinnlich, erotisch.