Rudolph M. Schindler

1961

RUDOLPH M. SCHINDLER
ein Wiener Architekt in Kalifornien

der aufbau 3 (März), Wien 1961

So festgefügt erscheint bereits die Struktur der Entwicklungsgeschichte der Architektur unseres Jahrhunderts, so bekannt die wichtigsten Exponenten, daß Änderungen oder gar Neues kaum mehr erwartet werden. So wendet man sich Außenseitern zu oder man kann sich auch am Spiel einiger Forscher beteiligen, welche eifrig bemüht sind, Vorläufer zu entdecken, Männer, die "schon" zu diesem oder jenem frühen Zeitpunkt etwas bauten, das später als Attribut modernen Bauens galt.
Schindler paßt nicht in dieses Konzept. Weder Vorläufer noch Epigone oder Außenseiter, ist er ein Architekt, dessen Ideen und Werke ihn gleichberechtigt neben die anderen Wegbereiter der Architektur unseres Jahrhunderts stellen, an deren Entwicklung er aktiven Anteil hatte.
Rudolph M. Schindler, Architekt aus Los Angeles, dessen wichtigste Bauten in Südkalifornien stehen, ist jedoch keineswegs von nur lokaler Bedeutung und gerade für Österreich von speziellem Interesse. Geboren in Wien, am 10. September 1887, zuerst schwankend zwischen Bildhauerei und Architektur, wird er schließlich Schüler Otto Wagners an der Akademie, wo er 1913 mit dem Diplom abschließt. Zeitlebens bewahrt er seinem Meister bewundernde Erinnerung. Gleichzeitig gehört er auch dem Kreis um Adolf Loos an. 1911, in den steirischen Bergen, kommt er zur Erkenntnis und Idee seiner Auffassung über Architektur unserer Zeit: Raum im Gegensatz zu skulpturaler Masse. Er schreibt in seinem Manifest von 1912: „Endlich hat der Architekt das Medium seiner Kunst entdeckt: Raum." Kurz darauf reicht ihm der Bibliothekar der Akademie ein Buch: Frank Lloyd Wright, Ausgeführte Bauten und Entwürfe. „Sofort erkannte ich - hier ist ein >>Raum-Architekt<<."
Dies und der Rat Loos´ sind der Anstoß zu seiner Amerikareise 1914. Ursprünglich nur für einige Jahre geplant, wird der Aufenthalt in den Vereinigten Staaten zu einem lebenslangen. Nach kurzer Tätigkeit in Chikago geht er nach Ausbruch des Krieges zu Wright, der gerade am Imperial-Hotel arbeitet. Maßgeblich beteiligt an dessen außerordentlicher Konstruktion, ist er in Abwesenheit Wrights in Japan verantwortlich für eine Anzahl von Planungen, insbesondere des Monolith Homes Development. Die Beaufsichtigung des Baues des Hollyhock House (Barnsdall House) bringt ihn nach Los Angeles. Bereits, im Gegensatz zu Wrights Entwicklung ( die von den raumbeherrschenden Auskragungen der Prairie-houses zur massiven Kompaktheit der Betonblockhäuser führt), beschließt er, sich hier selbständig zu machen.
32 Jahre intensivster Tätigkeit folgen. Mehr als 200 Bauten entstehen. Nur eine einzige Reise führt ihn von der Westküste weg. (Er fährt nach Connecticut, um einen Zubau für das Haus Helena Rubinsteins zu überwachen.) 1921 entsteht das erste Haus, sein eigenes. Ungeheuer sind die Schwierigkeiten, der „Spanische Stil“ beherrscht die Szene. Schindler schreibt: " Ich packte mein Manifest über Raumarchitektur aus und begann Kalifornien aufzurütteln durch Vorträge und Ausstellungen entlang der Westküste. Ich gab Unterricht in Kunstschulen und Spezialkursen der Universität. Nur Leute mit offenem Geist waren in meinem Atelier willkommen." Aber nicht nur der geistige Widerstand, sondern mehr noch praktische Hindernisse mußten überwunden werden. Baubewilligungen wurden nicht erteilt, Banken weigerten sich, Kredite zu gewähren. Kunstkommissionen hatten ihre besonderen Ideen über Steildächer und churrigueresken Dekor, und zuletzt gab es noch Schwierigkeiten mit den Baugewerbetreibenden, die ihre althergebrachten Methoden nicht aufgeben wollten. Dazu kam, daß er - im Gegensatz zu anderen kalifornischen Architekten - für Kreise baute, deren Einkommen und Baubudget äußerst begrenzt waren.
Dies veranlaßt gleich zu Anfang die Einführung bestimmter Planungs- und Arbeitsmethoden. Die Unfähigkeit der Behörden, die räumlich komplizierten und konstruktiv neuartigen Entwürfe zu verstehen, führte zur Ausstellung von provisorischen, jederzeit widerrufbaren Baubewilligungen, welche erst nach Besichtigung der halbfertigen oder fertigen Bauten endgültig wurden. Vollständige räumliche Kontrolle während des Baues ist durch die Entwicklung der sogenannten „reference frames in space“ (Raumgitter als Bezugsystem) gegeben. Modulares Bauen, insbesondere auf dem 4-Fuß-Modul, sowie weitgehende Verwendung der Vorfertigung sind kennzeichnend. Einrichtungen werden oft von ihm selbst entworfen, meistens als Teil der Gesamtkonzeption. Während anfangs vielfach ingeniöse Lösungen für einzelne Möbelstücke gefunden werden, oft unter Verwendung von übriggebliebenem Baumaterial, kommt es später zur Entwicklung der „unit-furniture“. Die Bauausführung wird nicht Generalunternehmen übertragen, sondern mit Arbeitsteams unter ständiger direkter Überwachung des Architekten durchgeführt. Dies gibt auch die Möglichkeit, Entscheidungen über die endgültige Ausführung erst während des Baues zu treffen. Öffnungen, Wände, Beziehungen von Glasflächen und kompakten teilen werden oft erst im Zuge der Errichtung festgelegt, in der Wirklichkeit des Raumes selbst, und so Reißbrettlösungen vermieden.
Schindler nannte sich „space architect“ und behauptete, „Raum als Mittel der Architektur“ sei seine Entdeckung gewesen. Wie dem auch sei, seine Bauten haben eine starke Plastizität und komplexe Konzeption des Dreidimensionalen. An Intensität und Intimität des Raumerlebnisses wird er wohl nur von Wright übertroffen, der auch den größten Einfluß auf sein Leben ausübte. Findet man auch an vielen seiner Bauten Reminiszenzen an seien Lehrjahre bei Otto Wagner und die Sezession, so war dieser Einfluß wohl mehr oberflächlich. Loos, Wright und die amerikanische Landschaft waren die bestimmenden Eindrücke.
Parallelen Strömungen in Europa war er bald feindlich gesinnt. Er schrieb darüber: „1928 wurde der >>Internationale Stil<< mit großem Trara von Europa importiert, und Architekt R. Neutra versuchte, ihn nach Kalifornien zu verpflanzen. Seine falschen Schlagworte und lebenszerstörende Einstellung waren weit davon entfernt, ihn als Ausdruck des amerikanischen Geistes annehmbar zu machen.
Neutra arbeitete nach seiner Ankunft in Los Angeles einige Jahre bei Schindler und wohnte auch in dessen Haus. Als Arbeitsgemeinschaft nahmen sie teil am Wettbewerb für den Völkerbundpalast in Genf und arbeiteten ein Projekt für das Civic Center Richmond, Kalifornien, aus. Er kam, als Schindler Lovells Beach House plante. Sie gingen auseinander, als Neutra Lovells Health House baute.
Außer den Lovells hatte Schindler wenige wohlhabende Bauherren. Sein Werk ist fast ausschließlich auf das Einfamilienhaus beschränkt. Größere Bauten gibt es wenige. Einige Apartmenthäuser, eine Kirche, ein medizinisches Zentrum. Er baute für Intellektuelle, Musiker, Schriftsteller und Künstler in Konkurrenz mit der Massenfabrikation der spekulativen „Builders homes“ oft auf kleinsten und topographisch ungünstigen Grundstücken im Rahmen des jeweiligen Budgets. Aber Schindler Kunden schätzten ihre Häuser, die meisten bewohnen sie heute noch. Für freiwerdende gibt es lange Wartelisten.

Im Werk Schindlers lassen sich vier Perioden erkennen.
Die Frühzeit, in der er als Angestellter verschiedener Architekten schon selbständige Werke schafft; in Wien (Österreichischer Bühnenverein) und in Chikago (Buena Shore Club). Aus dieser Zeit stammen auch einige Projekte. Zuerst ist der Einfluß Wagners dominant, später der Wrights.
Seine Eigenständigkeit beginnt mit seinem ersten Werk als selbständiger Architekt. Es ist die Periode des von ihm so genannten „Structural core design“:
„Jeder konstruktive Teil eines Entwurfsschemas, welches die natürliche Farbe und Textur des Materials betont." Lebhaftes Interesse an Konstruktion, Betonbau und Fertigteilen. die Mittel und das System der Konstruktion dienen direkt zur Erreichung von Raumkonzeptionen und sind ein hervorragender Bestandteil derselben. Hauptwerke dieser Periode sind sein eigenes Haus mit der Slab-tilt-Konstruktion, 1921, das Lovell Beach House (ein Haus auf Stützen mit Betonrahmen, 1926) und das Wolfe House mit einer Holzkonstruktion von besonderer Kühnheit (1928). neue Wege im Wohnhausbau beschreitet er mit Pueblo Ribera (1923) und Sachs apartments (1927).
Anfang der dreißiger Jahre beginnt Schindler mit dem „Plaster skin design“: „Alle Oberflächen des konstruktiven Gerüstes sind durch eine Putzhaut überdeckt, welche dann mit ihrem eigenen Formenvokabular spricht." Den Notwendigkeiten des Wohnens und der damit verbundenen Raumidee entsprechend werden „space forms“ (Raumformen) geschaffen. Die Konstruktion dient zu ihrer Verwirklichung und ordnet sich unter. Die Häuser für Oliver (1933), Buck (1934), van Patten (1936) und Rodakiewicz (1937) sind die wichtigsten Bauten dieser Art sowie die Wohnanlage Bubeshko und das Falk-Apartmenthaus (1938 und 1939).
Allmählich entwickelt sich sein Spätstil. 1937 entsteht die Banati-Hütte, die erste Verwendung des A-Rahmens. Während der vierziger Jahre wird eine Anzahl verschiedenster Techniken und Konstruktionen entwickelt, hauptsächlich aus Holz. Der kubische Aufbau der dreißiger Jahre macht einem vollkommen nach innen gerichteten Aufbau Platz. Das Dach bekommt eine große Bedeutung, die besonderen Eigenschaften des Hauses bestimmen die Gestalt. Das Auftreten verschiedener besonders wirkungsvoller Elemente sowie die Überbetonung der Einzelheiten machen einige der späteren Häuser zu einer wahren Sammlung von praktischen Lösungen und Erfindungen, die zwar nicht die Wohnlichkeit beeinträchtigen, wohl aber die „Wohnfreiheit“ einschränken und dem Bau etwas von seiner Ganzheit nehmen. An Stelle von Persönlichkeit und Charakter tritt oft eine Ansammlung von Tugenden. Die Bauten sind stark in die Landschaft eingebunden, im Gegensatz zu früheren Kontrastwirkunken, viele befinden sich auf Hängen und Hügeln.
Besonders bemerkenswert ist das van Dekker House (1940) in die Landschaft eingefügt, wie auch das Kallis (1947) und Lechner House (1948), beide V-förmig und eng an den Hang geschmiegt. Sein letztes Haus, für Sam Skolnik, ist wegen der Lichtführung besonders interessant. Konstruktion, Lichtführung und Spiel mit Formen kommen zu einer Synthese in der Bethlehem-Baptisten-Kirche für eine Negergemeinde (1944). Entwicklungen in neue Richtungen deutete eines seiner eindrucksvollsten Bauwerke an, das „durchscheinende“ Janson House. In diesem Hause starb Schindler am 22. August 1953.


Rudolph M. Schindler - ein Wiener Architekt in Kalifornien (1961)
der aufbau 3 (März), Wien 1961
1966 publizierte Hollein in der Zeitschrift «Bau» (21. Jahrgang, Heft 4) einen weiteren Artikel über Schindler, der im Vorwort auf Holleins ersten Text Bezug nahm: "Der Autor hat in den Jahren 1959 1960 eine Forschung über R. M. Schindler durchgeführt, der zu dieser Zeit mit Ausnahme weniger kurzer Veröffentlichungen - kaum publiziert und weitestgehend unbekannt war. Auch heute ist weitreichende Information spärlich. Der Autor hat ein umfangreiches Schindler Archiv aufgebaut, aus dem wir im folgenden einen fragmentarischen Überblick über das Werk Schindlers bringen, mit besonderem Schwergewicht auf einige wesentliche Bauten aus den zwanziger und dreißiger Jahren und auf bisher unpubliziertes Material."