Städte - Brennpunkte
1963
Als der Mensch sich vom Boden erhob, fing er an zu bauen. Er schichtete ein paar Steine auf, schlug einen Pfahl ein, grub ein Loch.
Architektur begann.
An heiligen Stellen setzte er kultische Zeichen, baute sakrale Gebilde.
Er markierte Brennpunkte menschlicher Aktivitäten.
Die Stadt entstand.
Städte, die Ordnungen des Raumes, verwirklicht durch Bauen. Die Stadt ist ureigenste Schöpfung des Menschen. Sie ist Verkörperung seines Wollens, seiner Wünsche, seiner geistigen Kraft und Macht.
Die Stadt ist die Manifestation seiner Entwicklung. Die Bestimmung und das Schicksal des Menschen, seine Kultur und Zivilisation sind untrennbar mit der Stadt verbunden.
Hier hatten die großen Ideen ihren Ursprung, hier wuchsen die Kathedralen und Paläste, hier wurden die großen Revolutionen gemacht, hier entstanden die Eliten. Hier erst wurde der homo sapiens endgültig zum Menschen, Herrscher über Natur und Umwelt.
Der Mensch, der auf der höchsten Stufe der Zivilisation und Kultur steht, will im menschlichen Lebensraum leben, der Stadt. Er will eine noch geballtere, noch konzentriertere Stadt, ein noch natürlicheres, noch weniger bebautes Land. Er gibt dem Geist vor dem Körper den Vorzug, Sehnsüchten vor primitiven Bedürfnissen.
Endlich können wir unsere elenden Hütten und Erdlöcher verlassen und in Städte ziehen, die stark und gewaltig über dem Lande schweben und die sich konzentriert und kompakt an einigen Punkten in die Erde graben.
Hier, in diesen Städten, gibt es eine Hierarchie der Räume und der Bestimmungen. Von Zentren, von Brennpunkten aus werden sie beherrscht, wird ihnen räumliche und organisatorische Ordnung gegeben.
Brennpunkte können bezeichnet sein.
Durch ein Bauwerk. Oder durch Leere. Oder sie werden einfach nur gefühlt. Beziehungen der Brennpunkte - räumliche und geistige Organisation des Lebens - Gestalt der Stadt.
Wir wollen Konzentration, nicht Dekonzentration. Wir wollen nicht Millionen von kleinen Ansiedlungen über das Land verstreut, das Land verstellend, Überreste einer überholten Ordnung und Epoche.
Wir wollen zwischen den Städten Zentren moderner Agrikultur, aufgebaut auf Konzepten einer industriellen Bewirtschaftung des Bodens. Wir wollen ein ursprüngliches, unbebautes Land - Spannungsfeld zwischen den Städten.
An einigen, ausgezeichneten Punkten in der Landschaft errichten wir Bauwerke.
Heute sind wir nicht mehr abhängig von äußeren Bedingungen einer elementaren Natur, einer unzureichenden Technik. Eine ungeheuer fortgeschrittene Wissenschaft und hochentwickelte Technologie bietet uns die Mittel zu bauen, was und wie wir wollen.
Wir wollen den grenzenlosen, menschengemachten Raum.
Wir wollen die totale Stadt, das Land beherrschend.
STÄDTE - BRENNPUNKTE DES LEBENS (1963)
«der aufbau» 3/4 (März/April), Wien 1963
"Hans Hollein und Walter Pichler haben Mitte Mai 1963 in der Wiener Galerie St. Stephan eine stark besuchte Ausstellung veranstaltet, auf der sie formale Anregungen für den Städtebau zur Diskussion stellten." (Vorbemerkung)