Aufbauen und aushöhlen

2003

"Aufbauen und Aushöhlen"

"Digging - Piling up - Forming" habe ich - während meiner ersten amerikanischen Jahre - als Grundtendenzen des Bauens formuliert.
Die Dialektik zwischen diesen beiden Prozessen der Gestaltung und ihre Verschmelzung in eine weitere Dimension freier plastischer Gebilde und des Raumes - war immer schon die Grundlage für das Schaffen von Architektur. Das tektonische Aufhäufen zum Himmel hin, das sich den Regeln der Schwerkraft fügen muß, und das a-tektonische Aushöhlen, Ausgraben, das sich frei in alle Richtungen - wie der Fisch im Wasser - ausbreiten kann, bedingt und erlaubt ganz unterschiedliche Entwicklungen von Raum. Die Figur im Steinblock aus Carrara zu erahnen und herauszulösen oder das Zusammenfügen von Elementen zu einer Gestalt eröffnet der Kreaktivität grundsätzlich verschiedene Möglichkeiten der Definition - auch von Architektur - nicht zuletzt als Symbiose dieser beiden.
Der frühe Mensch suchte sich zu schützen indem er sich eingrub in die Erde oder eine Höhle fand. Er schützte sich indem er Äste zu einer Umhausung baute und versuchte sich auszudrücken indem er einen (rituellen) Steinhaufen errichtete, oder den Turm zu Babel.
Die Tendenz des Aufhäufens führte zum Haus, zum Turm, sie entwickelte sich weiter zur Ausdehnung, zur Auskragung - zur dynamischen Schräge.
Die Tendenz des Grabens, zum Abstieg zum Mittelpunkt der Erde mit ihren Schätzen, zu unterirdischen Strukturen der Kommunikation.
Ein dualistisches Denken - vielleicht ein manichäischer Aspekt - das in seiner Überlagerung zu einer komplexen Strategie - auch zwischen Zweckfreiheit und Zweck, führt.

Architektur ist rituell.
Architektur ist ein Mittel zur Erhaltung der Körperwärme.
Zwischen diesen zwei Polen hat sich durch Jahrtausende Bauen zur Architektur entwickelt.
Bauten werden zur Architektur, wenn sie nicht nur das Quantifizierbare sondern auch das Nicht-quantifizierbare erfüllen.

Diese Ausstellung ist zwei wesentlichen Themen des Aufbauens und des Aushöhlens in meinem Werk gewidmet - dem Hochhaus und unterirdischen öffentlichen Räumen, Museen.
Das Hochhaus, nicht nur als Entwicklung der Dichte sondern als Signal interessiert mich seit meinem Studium in Chicago, der Geburtsstadt des "Skyscrapers", und ich umkreiste das Thema in unterschiedlichster Form - in Skizzen, Entwürfen, Modellen, Collagen, Projekten und Realisationen - notwendigerweise auch in einer Auseinandersetzung mit der Stadt, der Zukunft unserer Städte in der eine weitere Zone der Behausung über diese sich ausbreitet, schwebt.
Dieses freie sich Ausbreiten, Auskragen, Schweben hat sein dialektisches Gegenüber in der freien räumlichen schwerelosen Ausbreitung, Aushöhlung in der Erde, im Fels, im Lavastrom - der a-tektonischen nicht-rektilinearen Raumschaffung.

Dies sind nur zwei Aspekte meines Werkes, die (nicht zuletzt aus einer gewissen Aktualität der Themenstellung etwa in Wien) herausgelöst sind aus der komplexen Vernetzung architektonischer und künstlerischer Aktivität.

Hans Hollein
April 2003

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