Die Turnstunde

1984

DIE TURNSTUNDE
Wie meine anderen Installationen stellt auch die Turnstunde ein metaphorisches Welt- und Lebensbild dar. Sie müssen erlebt und können nur beschränkt beschrieben werden. Anspielungen und Assoziationen beziehen sich auf grundlegende Situationen des Menschen aber auch auf manifeste Äußerungen unserer kultischen, und kulturellen Herkunft. Rückbezüge auf das eigene Werk und auto- biographische Notizen sind ebenso enthalten wie Erinnerungen an »Bilder« und »Orte«, Erlebnisse und Geträumtes. Der Traum-Raum wird Szene einer vielschichtigen Relation von Mensch und Gerät innerhalb einer Umgrenzung. Die menschliche Figur wird Vehikel grundlegender Haltungen, die Symmetrie des Körpers kultische und rituelle Mitteilung. Erotik und Sinnlichkeit werden (auch in den begleitenden Zeichnungen der Ausstellung), auf grundsätzlichen Präsenzen und Präsentationen des weiblichen Körpers aufgebaut, zu sakralen Dimensionen.
Diese Installation steht in integralem Zusammenhang zum Raum. Neben den fundamentalen Positionen ergibt sich eine zusätzliche Dimension und Disposition dadurch, daß Raum (Umraum) und Installation vom selben Autor stammen.
Die Medien sind Körper und Licht, die Materialien sind Holz und Metall, weiße Farbe sowie Gold und Leuchtstoffröhren. Das Licht und das Leuchten ist Strahlen und Reflexion - Halo und Materie. Sonne und Gold. Alles, was ich mit den Händen umfasse, stellt sich in Form von Leuchtstoffröhren dar; Haut, Fleisch, Leder ist Gold. Die Geräte tragen eine Tendenz der Transformation in sich: die Ringe, die Leiter, das Pferd. Ein überdimensionaler Bock - unüberwindbar - wird zum Turm.
Der Katalog soll die - leider temporäre - Situation zumindest fotographisch fixieren, Arbeitsskizzen sollen den Werdegang aufzeigen und Bildsituationen wie Piero's Geißelung, Golgatha oder Las Hilanderas Affinitäts- und Assoziationsketten andeuten.
Rückblicke auf einige frühere Installationen des Autors vermitteln Zusammenhänge und Kontinuität.
Im Graphischen Kabinett werden rund 50 Zeichnungen und Aquarelle (von 1958 bis 1984) des weiblichen Körpers gezeigt. Darstellungen des rituellen Potentials fundamentaler Haltungen, der Symmetrie des Körpers. Seine Auflösung, sein Landschaftwerden. Einige Beispiele aus diesem Teil der Ausstellung schließen den Katalog ab.

Hans Hollein