Über den Beruf des Architekten

1973

ÜEBER DEN BERUF DES ARCHITEKTEN

Im Laufe der letzten 15 Jahre habe ich oft und in den verschiedensten Medien meinen Standpunkt sowohl zur Zukunft der Architektur, als auch der des Architekten vertreten. Ich möchte ihn daher im wesentlichen als bekannt voraussetzen und nicht wiederholen.
Es ist eines der Kennzeichen unseres Berufes, daß sowohl unser Berufsbild, als auch unser Tätigkeitsbereich sich ständig in Fluß befindet, in ständig veränderter Definition. Es ist dies seine Stärke.
Denn da sich das Leben und die Gesellschaft ständig wandelt und neu definiert, so muß der Bereich, der so eng mit diesem Leben verbunden ist und aus der Wechselwirkung mit der Gesellschaft seine Wirkung bezieht, dies auch tun. Dies bedeutet jedoch nicht, daß nicht bestimmte Inhalte gleichbleiben können oder sollen, da auch beim Menschen bestimmte Inhalte und Bedürfnisse - trotz aller Veränderungen - gleichbleiben. Es wird daher auch in Zukunft noch Architekten geben. Ob diese den heutigen gleich sind, das ist jedoch sehr wohl die Frage. Für den Studenten bedeutet das, daß es den Architekten {und seinen Wirkungskreis), den er heute kennt {als 30-, 40- oder 70jährigen) unter Umständen nicht geben wird, wenn er 30, 40 oder 70 Jahre alt sein wird; daß also die Vorstellung, die er sich für sein Alter von 30, 40 oder 70 macht, ihm nicht vorgelebt werden kann; daß also ein Berufsbild, das sich nach jetzt vorhandenen Personen oder Arbeitsbereichen wunschgemäß orientiert, nicht immer gesichert sein wird. Er muß mit dieser Unsicherheit leben, muß sich von der Sache her zu diesem Bereich hingezogen wissen, nicht von der Position. Der Dirigent, der das Dirigieren mehr als die Musik liebt, kann in anderen Bereichen seine Fähigkeiten ähnlich darstellen. Derjenige, der die Musik vorzieht, wird andere Formen finden, Musik zu machen, sollte der Dirigent obsolet werden. Man kann sich für beides "ausbilden".
Da die Frage auch "im Sinne einer beruflichen Berufung" gestellt war, nur soviel:
Den selbständigen, einzelnen Architekten wird es weniger und weniger geben, es wird ihn jedoch geben. Aber eine Laufbahn mit diesem Ziel zu beginnen, soll die Gewißheit miteinschließen, daß nur ein geringer Prozentsatz dieses Ziel erreichen wird. Es sollte daher kein Ziel, oder nur eines der alternativen Ziele sein. Ziel vielmehr sollte die Teilnahme an der Schaffung unserer menschlichen Umwelt sein. Auch dafür gibt es viele Möglichkeiten - eine davon das Atelier des selbständigen Architekten. Als solchen hat man mich befragt. Ich kann jedoch nicht garantieren, daß man mich in 10, 20 oder 30 Jahren als solchen wird befragen können. Denn ich werde tun, was mir im jeweiligen Moment als sinnvoll erscheint.

ÜBER DEN BERUF DES ARCHITEKTEN (1973)
Prolegomena, Wien, Januar 1973