Schindler

1966

RUDOLPH M. SCHINDLER

EIN WEITERER BEITRAG ZUR BERICHTIGUNG DER ARCHITEKTURGESCHICHTE.


Der Autor hat In den Jahren 1959 1960 eine Forschung über R. M. Schindler durchgeführt, der zu dieser Zeit mit Ausnahme weniger kurzer Veröffentlichungen kaum publiziert und weitestgehend unbekannt war. Auch beute ist weitreichende Information spärlich. (Siehe Bibliographie am Ende des Artikels. Auf die verdienstvolle Tätigkeit Esther McCoys sei hier hingewiesen.) Der Autor hat ein umfangreiches Schindler Archiv aufgebaut, aus dem wir im folgenden einen fragmentarischen Überblick über das Werk Schindlers bringen, mit besonderem Schwergewicht auf einige wesentliche Bauten aus den zwanziger und dreißiger Jahren und auf bisher unpubliziertes Material.
Für eine genaue Darstellung des Lebens und Werdegangs Schindlers (in deutscher Sprache) empfiehlt sich die Lektüre des Artikels des Autors: R. M. Schindler in "Der Aufbau", Wien, 3/1961.

Eine Beschäftigung mit dem Werke Schindlers ist für uns von zweierlei Interesse, sowohl als ein historisches an der Ergänzung und Berichtigung der Architekturgeschichte und der Bestimmung der Rolle Schindlers in ihr als auch als Interesse für die Bedeutung, die Schindler und sein Werk heute für uns haben, für die stärke und auch die Beschränkungen seiner Konzepte, welche ja mit beigetragen haben müssen zu seiner bisherigen relativen Unbekanntheit.

Ist schon die Zahl seiner ausgeführten Bauten erstaunlich (über 200), so um so mehr noch seine Pioniertätigkeit in Bereichen, die heute insbesonders als Merkmale modernen Bauens gelten. Schon sein erstes Haus stellt in vielen Richtungen einen Modellfall neuer Möglichkeiten dar. Es bringt soziale Konzepte, stellt ein System der Vorfertigung und des Bauens mit Einheiten vor und schafft neue räumliche Beziehungen zwischen Außen und Innen, die bald Gemeinplatz werden sollen. In seinen folgenden Bauten entwickelt er die verschiedensten Konzepte und Systeme der Vorfertigung (u. a. Gleitschalungen, »slab tilt«, "Schindler frames") und propagiert mit seinen "Reference frames in space" seit den frühen zwanziger Jahren ein Ordnungssystem, das in vielen Aspekten Gedanken von Le Corbusiers "Modulor" vorwegnimmt. (S. Reference Frames in Space, The Architect and Engineer, April 190.)

Die sozialen und räumlichen Konzepte solcher Wohnbebauungen, wie Pueblo Ribera (1923), Sachs Apartments (1928) oder Bubeshko Apartments (1938) sind auch heute noch richtungsweisend. Das Lovell Beach House (1926) ist nicht nur bedeutend als frühes Beispiel eines auf Stützen stehenden, auskragenden Betonhauses, als das es bekannt ist, sondern noch mehr als ein System, das mit seinen Betonrahmen und frei hineingehängten bzw. gestellten Räumen heutige städtebauliche Konzepte der "Infrastrukturen" und des "plug in" vorausahnt. Sein mit Neutra ausgearbeitetes Wettbewerbsprojekt für den Völkerbundpalast (1926) nimmt die für die momentane Entwicklung so charakteristische stufenförmige Auskragung vorweg.

Seine reiche konstruktive Erfindungsgabe und sein intensives Interesse an neuen Materialien läßt ihn eine Anzahl ingeniöser Strukturen entwickeln, und er ist eh einer der Ersten, die Kunststoff als Baumaterial propagieren und seine Möglichkeiten für differenzierte Lichtführungen erkennt. Hiezu kommt ei fast fanatische Besessenheit mit "space". Schon 1912 schreibt er in seinem Manifest: "Endlich hat der Architekt das Medium seiner Kunst entdeckt: RAUM " Für Schindier ist die Beherrschung des Raumes Raum in Gegensatz zu skulpturaler Masse Zentrum seiner Ideen geblieben.

Demonstrationsobjekt war ihm fast ausschließlich das Einfamilienhaus, wobei er es oft sogar vorzog in der Direktheit des Raumes selbst zu "entwerfen", am halbfertigen, nur in den wichtigsten Grundstrukturen planlich festgelegten Bau. Hierin liegt Stärke aber auch schon Schwäche des Schindlerschen Konzeptes. Schindler hat es versäumt, die Projektionsmöglichkeiten auf größere Entwicklungen (bis zum Städtebaulichen hin etwa) aufzuzeigen. Es ist ein interessantes Phänomen, daß von Schindler Studienzeit und Zeit der Angestelltentätigkeit ausgenommen praktisch kaum Projekte existieren, mit Ausnahme solcher für unausgeführt gebliebene oder anders ausgeführte kleinere Bauten und als einige wenige größere Projekte jenes für den schon erwähnten Völkerbundpalast und eines (mit Neutra und Aronovici) für ein Civic Center in Richmond, Calif. (1930). (Es gibt keine Großbauten Schindlers, die größten sind eine Kirche und ein Ärztegemeinschaftsgebäude.) Ab theoretische Studienprojekte für Einfamilienhäuser können u. a. das "Space Development" und das "Translucent House" (1927) gelten. Schindler hat zwar zu einer Vielzahl von Themen geschrieben von "Raum" Architektur über Autobau zu Vorfertigungsfragen er hat je. doch die Medien der Kommunikation zur Propagierung seiner Ideen nie in der Weise strategisch und als wesentlichen Teil der Gesamttätigkeit eingesetzt, wie andere wichtige Zeitgenossen. Hiezu kommt, daß insbesondere in seiner späteren Zeit Schindler von einer Gesamtheitlichkeit abrückt und in der "Erfindung" einer Unzahl von Detaillösungen befangen war. Eine merkliche Tendenz zur Propagierung eines Regionalismus, zusammen mit der schon erwähnten Beschränkung auf das Einfamilienhaus (die wohl nur teilweise als wirklich durch die Umstände aufgezwungen betrachtet werden kann) in einer Zeit, die sich immer mehr globalen Fragen zuwendet führte zu einer weiteren Isolierung, welche sein Werk nur mehr spärlich in den Publikationen aufscheinen läßt.

Die bereits durchgeführten Veröffentlichungen ebenso wie die folgende beweisen, daß dies ungerechtfertigt ist und Schindler für uns weiterhin aktuell ist.



Aus einer Beschreibung Schindlers:

Projekt:
Am Hanggrundstück an der Pazifischen Küste.
Programm:
Eine Gruppe von 12 Behausungen mit Garage.
Lageplan:
Das gebräuchliche Schema, Städte durch mechanisch aufgereihte Gebäude zu bauen, wurde verlassen. Statt dessen wurden die Häuser so gruppiert, daß jedes einen Innenhof für das Wohnen im Freien bekommt, welcher durch Hecken und die fensterlosen Wände der Nachbargebäude gebildet, eine ungestörte private Sphäre darstellt. Diese Wände bedeuten keine Aufgabe einer günstigen Orientierung, zur Sonne, da besondere Oberlichtfenster über den Dächern der Seitenflügel geschaffen wurden. Die Neigung des Grundstückes sichert für alle Dachterrassen einen freien Ausblick über das Meer ohne die Beeinträchtigung der privaten Sphäre anderer.

Konstruktives Schema:
AIle Böden sind aus Beton, direkt au/ den Grund aufgesetzt. Die Dächer sind in Holzkonstruktion. Die Dachterrasse besteht aus einer Betonplatte, die über die Dachkonstruktion gelegt ist. Sämtliche Wände sind aus massivem Beton, welche in dem von mir entwickelten "Slab Cast" System hegestellt wurden. Die "Slab Cast" Schalungen sind aus Holz und bestehen aus einem Skelett vertikaler Führungen und einer einzigen kontinuierlichen Schar horizontaler Schalformen. Diese Schalungen gleiten an der Außenseite der Führung, ihre Innenseite ist mit Dachpappe belegt um eine gute Betonoberfläche zu gewährleisten. Eine kleine Dreiecksleiste, welche die Pappe befestigt, gibt gleichzeitig eine saubere Trennung für jede Betonschüttung.

Nach Fertigstellung des Betonfußbodens werden die Führungen aufgestellt, und Fenster, Türstöcke, Bewehrung, Installation u. dgl. zwischen den Formen montiert. Es ist kein Schalungsverschnitt notwendig. Pro Tag wird eine Schicht gegossen. Die Formen werden geöffnet und in die Höhe der nächsten "Schar" geschoben. Es wurden nur zwei Schalungssätze für Pueblo Ribera verwendet. Nach Herstellung der Formen können alle anderen Arbeiten von ungelernten Arbeitern bewerkstelligt werden.

Architektonischer Entwurf:
Es wurde versucht, ein organisches Ganzes aus der Ansammlung kleiner Einheiten zu machen, anstatt diese mechanisch zu wiederholen. Jedes Haus bekam seinen individuellen Charakter durch seine Beziehung zum Nachbargebäude und durch Variationen der Holzarbeiten. Dachterrasse, Spielhof und Wohnzimmer formen zusammen einen "Wohn Raum". Durch Verwendung eines Schemas von Einheiten mit gleichmäßigem Abstand wurde ein einheitlicher Maßstab erzielt. JedesHaus ist offensichtlich durch eine Reihe stehender Platten Einheiten geformt. Diejenigen Platteneinheiten, welche, für die "Umhüllung" verwendet werden, sind aus Beton, während solche, die nur zur Abgrenzung von Öffnungen dienen, ausHolz und Glas bestehen.
Alle diese Platten Einheiten sind durch zurückgesetzte Ecken bzw. Gelenke verbunden, welche aus der Verwendung der Schalformen resultieren. Die horizontalen Arbeitsfugen der Betonwand treten an den
Ecken nicht auf und widersprechen so nicht dem monolithischen Charakter der Einheiten. rchitektonisch zurückgesetzte Gelenke sind ebenso charakteristisch für die moderne Plattenwand, wie es die Pilaster für die traditionelle Mauer waren.


Auszüge aus SCHINDLERS "The contemporary House" in: The Architect and Engineer, Jan. 1936.